Sceptica
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WOW jetzt hab ich einen guten artikel ?ber das neue buch gelesen
(Wien, im November 2006) Wer heute die Morgenzeitungen ?ffnet, kommt in Wien nicht um das Thema herum. Der Priklopil geht um. Und er ist tief ins uns drinnen. Jetzt aber kommt Natascha!
Wenn man dar?ber nachdenkt, wer es in den Brockhaus schaffen wird, Wolfgang Priklopil, der "Entf?hrer", der dem Anschein nach sein Opfer acht Jahre gut behandelt und sexuell nicht missbraucht hat, oder Natascha Kampusch, die acht Jahre seine Begleitung und Mitbewohnerin war, dann wird es wohl Natascha Kampusch sein.
Was sich im Haus in Strasshof (Nieder?sterreich) tats?chlich abgespielt hat, ist bis heute nicht klar. Was klar ist, dass nun die vierte Welle der Besch?ftigung mit Natascha Kampusch beginnt.
Die erste Welle
Die erste Welle setzte sein, als bekannt wurde, dass ein M?dchen am 2. M?rz 1998 vom Schulweg in Wien abgekommen war und verschwand. Danach startete eine gro?e Suchaktion in ganz Ost?sterreich und vermutlich die gr??te in der Nachkriegsgeschichte der ?sterreichischen Polizei. Die Welle Nummer eins hielt lange und beharrlich an. Viele Doppelseiten erschienen in der gro?en Boulevardzeitung "Kronen Zeitung". Das M?dchen wurde Symbol f?r das Kidnapping an sich und von einigen Kinderschutzvereinen als Symbol auch missbraucht. Im Zuge der Ermittlungen erschien auch ein erstes Buch vom ?sterreichischen Detektiv Walter P?chhacker. Bel?chelt von Polizisten, gut f?r den Vater, der sich wie ein Ertrinkender an jeden Strohalm klammerte.
Die zweite Welle
Die zweite Welle war ein Tsunami, der Blutsturz an Berichten, der Sturzbach an Gef?hlen. Diese Medienwucht ungeahnter Gr??e (wie es nur ein Megaungl?ck bringt) setzte am 23. August 2006 ein, als das 18-j?hrige M?dchen aus dem Garten des Hauses in Strasshof das machte, was viele Teenager auch machen: Sie riss von zu Hause aus. Sie lief weg, lie? den Ersatzvater Wolfgang Priklopil zur?ck, der im Verlustschmerz und in dunklen Ahnungen gro?er Einsamkeit in langer Haft den Freitod w?hlte. Die Berichte waren interesannt, hoch hystrionisch, hoch spekulativ, hoch emotional. Da man noch immer nicht wusste, wie das M?dchen zum Zeitpunkt aussah, zirkulierte weltweit das alte M?chenfoto mit dem roten Pullover. Die wieder aufgetauchte Entf?hrte war noch eine Frau ohne Gesicht.
Die dritte Welle
Die dritte Welle setzte am 6. September 2006 ein. Als um 18 Uhr die Nachrichtensperre gefallen war, erschien auf News.at und Krone.at das erste Foto. Es war wie bei der Ebay-Versteigerung. Die letzten Sekunden sind am Spannendsten. Der Herausgeber lie? sich kurz vom Fieber anstecken. Er sa? eine geschlagene halbe Stunde auf News.at und wartete durch permanentes "Aktualisieren" der Seite, ob das Bild nicht doch schon fr?her kommt. Dann kam es! Dann lief er hinunter zur Stra?e. Mit Jogginghose und Turnschuhen. Das erste Mal seit Langem war er fr?hlich wie ein indischer Fakier, dass der indische Kolporteur beim "Drogeriegro?markt DM" schon da war und auch noch die "Abendausgabe" der "Krone" und ein "News" zur Verkauf hatte. Fast stolz trugen manche die druckfrische Zeitung durch die Gegend, lasen sie auf offener Stra?e. Fr?her h?tte man ein "Extrablatt" verbeitet. Es lag einige Minuten Fr?hlichkeit und gro?e Ruhe in der Luft.
Um 21 Uhr abend das Gro?e Interview im ORF. Es dauerte entgegen ersten Ansagen nicht 20, sondern 40 Minuten. Die Videokassette war eingelegt. Es konnte losgehen! Auch hier lie? sich der Herausgeber vom Fieber anstecken. Es war spannend wie die erste Mondlandung. Es war wie ein perfektes Hollywood-Drehbuch. Da sa? ein Mensch und er sprach hoffnungsfrohe Worte.
An diesem Abend nahmen manche ein 4-Stunden-Band aus allen TV-Sendern, deutsche, italienische, franz?sische, englische, auf.
Der 6. September 2006 stand nachrichtenseitig im Zeichen einer singul?ren Person. Medientechnisch hat diese Verdr?ngung etwas Bedenkliches, weil die mikroskopische Vergr??erung des Einzelnen das Umfeld verschwinden l??t. Auch an diesem Tag starben 5.000 afrikanische Kinder an Hunger, infizierten sich 300 Russen mit AIDS, starben drei ?sterreicher im Stra?enverkehr. Doch an diesem Tag interessierte die synchrone Gleichzeitigkeit nicht, sondern nur die eine Sensation. Aushalten kann solchen Mediendruck nur jemand, der zuvor keinen Mediendruck hatte. Manche sagen: Das M?dchen lief ins offene Messer. So war es dann nicht. Es lief gut.
Die vierte Welle
Nun beginnen die Dinge weiter zu laufen. Einen Monat sp?ter bekam die Wiener Tageszeitung "Kurier" das erste kostenlose Interview und ab nun wurde sie eine Person wie jede andere. Und damit auch interessant f?r Autoren. In England erscheint am 28. November 2006 das erste Buch. "Das M?dchen aus dem Keller - Die Natascha Kampusch - Story". Insider aus ?sterreich sind mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Das Buch ist eine Kompilation aus Presseberichten, neu formuliert. Es basiert auf keinem einzigen Originalgespr?ch mit Natascha Kampusch, die immer sagte, dass sie keine B?cher ?ber sich wolle. Eher will sie selbst eines schreiben.
Die Londoner "Times" druckte an zwei Tagen Passagen im Auszug ab. Das Honorar soll 30.000 Euro gewesen sein. Die erste Buchauflage ist 40.000. Spekulationen gehen dahin, dass sich das Buch in England 1 Million bis 1.5 Millionen Mal verkaufen wird.
Die Tageszeitung "Kurier" (26. November 2006, S. 10/11) rechnet vor, dass damit die Autoren Allan Hall und Michael Leidig 3 Millionen Euro Tantiemen verdienen werden. Die reisserische Tageszeitung "?sterreich" mokiert hingegen in einer gewollten selbsterf?llenden Prophezeihung, dass das Buch jetzt schon "ein Flop" sei (?sterreich, 26. November 2006, S. 11). Solche Prophezeihungen sind nur so gut, wie leichtgl?ubig die Zeitungsleser. Denn das Buch ist am Buchmarkt noch gar nicht erschienen! Aber das Blatt "?sterreich" wei?: "Das Buch ist so schlecht, dass die Times den Vorabdruck nach Folge 2 einstellte."
Inflexible Pers?nlichkeitsrechte in ?sterreich
Das ist der Vergleich der ?pfel mit den Birnen und ohne Belang. Warum sollte die "Times" weiterhin 15.000 Euro Honorar pro Folge zahlen, wenn das Buch ohnehin am Dienstag, also in drei Tagen in die L?den kommt und es dann f?r 19 Pfund zu haben ist?
Dass das Buch einige durch Ermittlungen widerlegte Spekulationen neu aufw?rmt, ?rgert sicher die Ermittler. ?sterreichische Journalisten und Abendautoren ?rgert wohl vielmehr eines: Dass im eigenen Land eine Riesensensationsgeschichte lief, aber die Pers?nlichkeitsrechte im Land so inflexibel sind. In ?sterreich traut sich niemand an das Thema heran - auch nicht ?ber Umwege einer Publizierung im Ausland. Das w?re ein Schlupfloch, das die ?sterreichischen Autoren offenbar nicht suchen. Viel lieber l??t man sich das Gesch?ft durch die Finger gehen und Gastkorrespondenten die Geschichte und die zahlreichen Analysen nacherz?hlen.
Sachbuch durchaus auch in ?sterreich m?glich
Ist man realistisch, muss man sagen, dass es sehr wohl m?glich ist, in ?sterreich ein Buch ?ber den Fall Kampusch zu schreiben. Leider reden in Wiener Medien (Kurier, Krone, News, ?sterreich und aus) die Kritiker eines solchen Projekts immer nur von einer "Biografie". Realistisch gesagt ist eine Biografie eines M?dchens, das 18 Jahre alt ist, gar nicht so interessant. Was hat ein M?dchen, das acht Jahre Hausarrest hatte, gro? erlebt. In pr?genden Jahren der Pubert?t. Will man das wirklich so genau wissen?
In ?sterreich m?ssen Sachb?cher zum Fall Kampusch geschrieben werden, nicht Biografien. Sachkundige B?cher, die die Ermittlungen zusammen fassen, die Kriminaltheorien zum Fall, die Medien?ffentlichkeit beleuchten, Analysen anstellen. Kurz: Eine Metaanalyse. Dazu muss man keine einzige Zeile aus dem Leben der Natascha Kampusch schreiben. Das ist und wird die Aufgabe der ?sterreichischen Autoren sein. Sicher: Das wird nicht das gro?e Gesch?ft mit der Emotion. Doch zu klagen gibt es dann nichts.
?brigens: Die beiden "Natascha"-Anw?lte Gerald Ganzger und Gabriel Lansky wollen in England nicht klagen. Die Prozessrisiken in England sind zu vage und Verfahren in England zu teuer. Die beiden englischen Autoren h?tten nie in Wien um irgendwelche Rechte angefragt. Der Begriff "Trittbrettfahrer", der in ?sterreichischen Medien f?r die beiden Autoren herum geistert, ist denn aber f?r Buchautoren auch etwas unangebracht.
Marcus J. Oswald (Ressort: Kidnapping)
(Editorennotiz: Fotos von Natascha Kampusch werden hier ?brigens nicht mehr ver?ffentlicht. Nachdem wir im "Kurier" gelesen haben, dass die P?nale ihrer findigen Anw?lte pro Bild v?llig ?berzogene 10.000 bis 20.000 Euro betragen solle. Daher hier nur Wolfgang Priklopil im Bild!)
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